männer.bw bei der Präsentation der Studie »Gewalt gegen Männer in Partnerschaften – von der Scham zur Hilfe«

Die Erforschung der Gewaltvorkommnisse, die Männern widerfährt, ist auch nach fast fünfzig Jahren geschlechtsspezifischer Gewaltforschung immer noch nur rudimentär entwickelt und stößt in Forschungseinrichtungen auf wenig Interesse. Diese Zurückhaltung – im Gegensatz zu den zahlreichen quantitativen und qualitativen (auch explorativen) Untersuchungen der Gewaltvorkommnisse gegen Frauen im deutschen und europäischen Raum und der erlangten hohen öffentlichen Aufmerksamkeit – wäre eine eigene Untersuchung wert.

Umso erfreulicher ist die von der größten Opferhilfeorganisation „Weißer Ring“ angeregte und finanzierte quantitative Studie »Gewalt gegen Männer in Partnerschaften – von der Scham zur Hilfe. Eine empirische Untersuchung zur Situation in Deutschland.« Am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) wurden jetzt die Ergebnisse vorgestellt. Die repräsentative Stichprobe umfasste 12.000 Männer im Alter von 18 bis 69 Jahren. Den Angaben der Forschenden zufolge nahmen 10 % (1.209) auswertbar teil, die nach Opfererfahrungen und Täterschaft befragt werden konnten. Zudem flossen die Erkenntnisse aus vertiefenden qualitativen Interviews mit 16 Betroffenen in das Gesamtergebnis ein.

54 % der befragten Männer haben bereits Gewalt in einer Partnerschaft erlebt. Das betrifft psychische Gewalt bei 39,8 %, Kontrollverhalten bei 38,6 %, körperliche Gewalt bei 29,8 %, digitale Gewalt bei 6,5 % und sexualisierte Gewalt bei 5,4 % der Befragten. Zwei Drittel der Befragten leiden unter Folgen der partnerschaftlichen Gewalt, vor allem psychisch bei 66 %, aber auch körperlich bei 12 % der betroffenen Männer. Die Komplexität von Partnerschaftsgewalt zeigt sich daran, dass die größte Gruppe der Befragten (75 %) zugleich Opfer ist, aber auch Tatanteile hat, so dass oft keine klare Täter-Opfer-Konstellation auszumachen ist. Nur ein mit 7,9 % sehr kleiner Teil der Befragten nahm Kontakt zur Polizei oder zu anderen Anlauf- und Beratungsstellen auf. Mit diesem Befund fordert der Forschungsbericht einen anderen Umgang mit Partnerschaftsgewalt und formuliert acht Handlungsempfehlungen (S. 203f).

  1. Das Angebot an Beratungsstellen, die spezialisierte Angebote für gewaltbetroffene Männer vorhalten, sollte deutlich ausgebaut werden.
  2. Im Beratungskontext sollte die Komplexität von Partnerschaftsgewalt berücksichtigt werden: Viele Betroffene haben selbst schon einmal Gewalthandlungen begangen und viele dysfunktionale Beziehungen sind von einer wechselseitigen Gewaltdynamik gekennzeichnet.
  3. Männer benötigen eine proaktive Ansprache, um die Beratungsquote zu erhöhen. Aufgrund der stigmatisierenden Wirkung des Gewaltopfer-Begriffs und wegen der sehr unterschiedlichen Auffassungen von Gewalt könnte erprobt werden, ob ein Verzicht auf den Gewaltbegriff die Ansprache verbessert. Eine solche Ansprache könnte auch verwendet werden, um Männer bereits vor dem eigentlichen Gewaltausbruch für eine Beratung zu motivieren, was im Sinne einer Prävention sehr wünschenswert wäre.
  4. Auch für Männer braucht es mehr Orte, an denen sie bei Bedarf spontan Unterkunft finden, gegebenenfalls auch mit Kindern (Männerhäuser).
  5. Polizeibeamte sollten für unterschiedliche Täter-Opfer-Konstellationen bei häuslicher Gewalt noch stärker sensibilisiert werden.
  6. Partnerschaftsgewalt in all seinen Facetten sollte Gegenstand einer Sensibilisierungskampagne sein, die auch die Betroffenheit von Männern thematisiert, Betroffene auf Hilfe- und Beratungsmöglichkeiten hinweist und die Rolle und Aufgaben der einzelnen Akteur*innen (Beratungsstellen, Polizei, Gerichte) erklärt.
  7. Gerade in pädagogischen Einrichtungen braucht es schon früh einen kritischen Umgang mit männlichen und weiblichen Stereotypen. Jungen sollten ebenso wie Mädchen ermutigt werden, sich von gesellschaftlichen Vorstellungen zu emanzipieren; Gefühle zu zeigen und zu verbalisieren darf nicht als unmännlich gelten.
  8. Beim Kampf gegen Partnerschaftsgewalt dürfen nicht beide Geschlechter gegeneinander ausgespielt werden. Das bedeutet, dass auch die Gewalt von Männern gegenüber Frauen weiterhin angemessen problematisiert und mit Maßnahmen angegangen werden muss.

Die Perspektive auf die Erforschung der Partnerschaftsgewalt ist ein erster Schritt, um zukünftig die Gesamtheit der gegen Männer gerichteten Gewaltvorkommnisse besser in den Blick nehmen zu können. Die Erforschung der über Partnerschaftsgewalt hinausreichenden öffentlichen und kulturellen Gewalt steht an. Sie könnte ein zentraler Ansatzpunkt für den grundlegenden Schutz von Männern vor der Missachtung ihrer Verletzlichkeit sein.

Hans-Joachim Lenz

Info zum Forschungsprojekt
Pressemitteilung mit den wichtigsten Ergebnissen
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